Kürzlich hatte ich ein langes Neujahrstelefonat mit einer alten Freundin. Danach war ich irritiert, wie wenig wir in einen Austausch zum Thema Impfpflicht gefunden haben, obwohl wir immer viele politische Themen miteinander verhandelt haben.
Ich möchte daher etwas loswerden:
Ein Großteil der Menschen, die sich haben impfen lassen, wollen, daß unser Problem möglichst rasch gelöst wird. Die Impfung haben in der Mehrheit Menschen, die sie aufgrund ihres Alters haben sollten und außerdem diejenigen, die ein rasches Ende der Pandemie herbeisehnen und die Impfung als das probate Mittel dazu erachten.
Ich denke, die bisher Geimpften sind in der Regel mit ihrem Status Quo in der Gesellschaft oder mit dem individuell Erreichten oder auch nur mit ihrer ganz persönlichen Situation mehr oder weniger zufrieden und wollen dieses Gefühl einfach wieder herstellen.
Sie – die Zufriedenen – glauben daran, daß es möglich ist, den Status Quo ante wiederherzustellen. Es kann so weitergehen wie vorher. Ja es soll so weitergehen wie vorher.
Ich glaube, das gibt das Denken der Mehrheit weiterhin gut wieder.
Die Gruppe derjenigen, die nicht geimpft sind und damit gewisse Überzeugungen pflegen, ist im Vergleich klein. Im Umkehrschluss zur Gruppe der Zufriedenen finden sich hier wohl mehr Kapitalismuskritiker, dem Fortschritt kritisch Gegenüberstehende und damit Menschen, die nicht in der Mitte der Gesellschaft, sondern an ihren Rändern stehen. Sie – die Unzufriedenen – haben schon vor der Pandemie ein kritische Haltung gepflegt und bringen ihre Kritik auch durch die Ablehnung der Impfung zum Ausdruck. Sie sagen, daß es so wie vorher nicht weitergehen kann und nicht weitergehen sollte.
Wie aber kann es in dieser Situation sein, daß ein Kanzler nach dem anderen abtritt und eine mühsam erhaltene schwarzgrüne Koalition befindet, daß eine Impfpflicht in Ö durchzusetzen ist?
Stimmt es wirklich, daß „die Zufriedenen“ nichts mehr hören wollen von „den Unzufriedenen“? Finden die Zufriedenen es tatsächlich richtig, den Druck auf die sogenannten Verweigerer zu erhöhen?
Wenn das zutrifft, dann stellt die Mehrheit angeblich eine wesentliche Errungenschaft unserer Demokratien in Frage. Die Fähigkeit beruht darauf, verschiedene Ansichten miteinander zu versöhnen und in Einklang zu bringen.
Ist das Interesse am Erhalt dieser hohen, wenn nicht höchsten Errungenschaft in den letzten Monaten wirklich so rapide gesunken?
Ich glaube das nicht. Allerdings übergeht die Politik die Meinungsbildung und mißachtet damit die Fähigkeit unserer Gesellschaft auf Basis der Verhandlung zu einer Lösung zu finden, die auch Andersdenkende umfasst.
Zum Klärung der Fragestellung, ob eine Impfpflicht im Ergebnis irgendetwas bringt, gibt es Studien über Studien und Zahlen über Zahlen, die die Dinge ins Verhältnis setzen und Vertrauen herstellen können, daß alles in allem bei einer bereits hohen Impfquote die Restrisiken annehmbar sind.
Vergessen wir eines nicht: Die Krise, die wir im Moment in den Vordergrund stellen, ist die kleine Krise. Wir haben sie nolens volens angenommen. Und wir sollten nicht aufgrund von Informationsüberfluss aufhören diese Krise zu verhandeln.
Denn wie sollen wir die viel größere Krise, die vor uns steht, wie sollen wir die Klimakrise aktiv bewältigen, wenn wir schon in dieser ‚kleinen‘ Krise die Nerven wegwerfen? Wir können und sollten sehen, daß das politische Agieren hilflos und unangebracht ist und durch Dirigismus das Zerbrechen unserer gesellschaftlichen Konsensfähigkeit beschleunigt wird. Das ist definitiv kontraproduktiv und nicht zukunftsfähig.
Wir bleiben als Gesellschaft nur handlungsfähig, wenn wir weiterhin in der Lage sind auf Andersdenkende zuzugehen und sie, ohne sie umstimmen zu müssen, mitnehmen. Diese Idee des Miteinanders ist auch heute vorhanden. Wir müssen sie allerdings bereits jetzt äußern und uns solidarisch mit den Ungeimpften zeigen. Genau so müssen wir uns in Zukunft solidarisch mit den wenigen erklären, die zB. weiterhin ein altes Auto fahren, um über die Runden kommen zu können.
In diesen und den weiteren Jahren braucht es diesen Zusammenhalt. Das gelingt nur, wenn wir aufhören zu glauben, daß jemand verantwortlich ist für uns und die Dinge richten wird. Es wird niemand richten. Niemand kann Probleme dieser Größenordnung richten. Wir wissen, daß die politisch Verantwortlichen überfordert sind mit diesen Krisen und können es ihnen nicht verdenken. Wir sollten auf die Straße treten mit der Offenheit und dem Glauben an unsere Veränderbarkeit und unsere Wirksamkeit und dem Wir-Gefühl Ausdruck geben!
In diesem Sinne Euch allen gute Energien für dieses für uns alle sehr wichtige Jahr 2022.